DIE ZUKUNFT DER MEDIZIN IST WEIBLICH!

von Dr. Martina Obermeyer

Zahnärztinnen stellen heute den größten Anteil unserer Berufsgruppe dar und arbeiten zwangsläufig anders als die meisten männlichen Kollegen - doch nicht weniger erfolgreich. Was genau ist zu beachten, wenn man als Frau eine Praxis erfolgreich leiten und gleichzeitig ein erfülltes Privatleben führen möchte?

In nahezu allen Bereichen der Medizin sind Frauen sehr stark im Kommen – an einigen Universitäten werden zum Teil Männerquoten eingeführt, wie z. B. an der zahnmedizinischen Fakultät in Ulm. Ob in klassischen Frauerdomänen we der Physiotherapie oder in neuen Bereichen wie chirurgischen Praxen, Frauen brauchen andere Praxiskonzepte.
Die Zahnmedizin ist bei den Frauen ganz weit vorne.

Das mag auch der Grund sein für Spannungen oder Unverständnis in Praxisgemeinschaften mit Männern und Frauen, die sich aus unterschiedlichen Bedürfnissen und Schwerpunkten ableiten. Frauen praktizieren einen anderen Führungsstil, leben andere Konzepte, investieren überlegter und vorsichtiger, verstehen unter Teamgeist oft etwas anderes als Männer, und brauchen auf Grund ihrer stärkeren sozialen Ausrichtung konkret machbare, äußere Rahmenbedingungen.

DAS ENTRÉE

Es beginnt bereits bei der innenarchitektonischen Gestaltung der Praxis: unmittelbar beim Betreten der Räumlichkeiten ist sofort spürbar, ob hier eine Frau oder ein Mann als Praxischef federführend ist. Damen legen in allen Bereichen großen Wert auf die Gestaltung der Räume, ob im Beruf oder privat. In Farben, Materialien und Formen repräsentieren sie ihre Persönlichkeit, Weiterführendes wie Dekoration, Blumenschmuck und saisonale Accessoires werden in der Regel mit großer

Sorgfalt und Liebe zum Detail installiert. In Männerpraxen findet man verstärkt klassisch-sachliche Materialien wie Chrom und Glas, Frauen tendieren zu Holz und Wohlfühlambiente. Vom Kinderspielzeug im Wartezimmer bis zur Grünpflanzenpflege wird in Damenpraxen sehr stark auf diese Details geachtet, während Männer oft unter Vernachlässigung solcher „Kleinigkeiten“ ihren Schwerpunkt auf die technische Ausstattung der Praxis legen.

Ich bin seit fast 30 Jahren Zahnārztin und in all diesen Jahren ist noch nie ein Patient vor Begeisterung über das neue Röntgengerät võllig ausgeflippt, neue Farbe und Bodenbelag im Wartezimmer, sowie Bilder, Schränke und Lampen wurden hingegen sehr wohl positiv bemerkt. Von mānnlichen Patienten im Übrigen genauso wie von der Damenwelt.

FRAUEN FÜHREN ANDERS – MÄNNER AUCH!

Die Geschlechter pflegen trotz gleicher fachlicher Ausbildung meist einen unterschiedlichen Führungsstil. Männer tendieren zu hierarchischen Teamstrukturen, Frauen eher zu demokratischen. In Damenpraxen werden flache Hierarchien gelebt. Das bedeutet, es gibt keinen Platzhirsch, der autoritär vieles von oben anordnet, sondern abgesehen von einigen klaren „Chef-Entscheidungen" wird im Team vieles diskutiert und gemeinsam entschieden. Alle bewegen sich auf einer ähnlichen Ebene. Das birgt die Gefahr für Chefinnen, die schlecht „nein" sagen kõnnen, dass eine dominante Assistentin vielleicht sehr viel Einfluss nehmen und im Verhältnis zu ihrer Position eine zu starke Machtposition entwickeln kann.

Hier gilt es, sich rechtzeitig abzugrenzen, um klar zu machen, wessen Praxis das im Grunde genommen ist. Besonders, wenn man mit Arbeit stark überlastet ist und hochfokussiert im Sprechzimmer behandelt, ist die Erleichterung über das selbstständige Agieren der Mitarbeiterinnen oft so groß, dass dieser Prozess schleichend stattfindet und man sich irgendwann vor einem hierarchischen Missverhältnis wiederfindet. In Praxen mit einer gemischten Führungsriege aus Männern und Frauen kann man sich die unterschiedliche Grundveranlagung zunutze machen. Die Herren kümmern sich oft um Computer, Technik, Gerätewartung, DedGV odder QW, während die Damen das Teamwork, die Urlaubsplanung, die „Herzensgespräche“ mit den Mitarbeiterinnen und ähnliche soziale Aufgaben unter sich haben. Solange diese Leistung von beiden respektiert und anenkannt wind ist das wundebar und in Ordnung Wenn aber einer von beiden einen wesentlichen höheren Zeitaufwand für seine Aufgaben benötigt und der andere der Meinung ist, das wäre sowieso nur Kleinkram, beginnt es schwierig zu werden.

Genauso peoblematisch kann es sich auswirken, wenn ein Chef bei den Mitarbeiterinnen der Hahn im Korb ist die Chefin von den Damen im Team als „Gleichrangige“ Kollegin behandelt wird. Hier gilt es sich klar zu werden, wie der Führungstil der gemischt geführten Praxis aussehen kann und was genau und für alle gilt.

DAS ZEITKONZEPT

Die wenigsten Frauen in Führungspositionen leben mit einem Mann zusammen, der ihnen den Haushalt so führt, wie sie es gerne hätten, die Kinder umfassend betreut und zu Hause die Kontoauszüge abheftet ...

Alleine auf Grund ihrer stärkeren Sozialkompetenz sind Frauen in der Regel diejenigen, die Kinder schnell noch zum Kinderart bringen, am Sankt-Martins-Zug teilnehmen oder das Essen für die Einladung am Samstagabend kochen. Für alleinerziehende Mütter ist das Zeit-Thema noch gravierender. Deshalb brauchen Frauen ein Netzwerk, von der Kinderbetreuung bis zur räumlichen Nähe von Schule und Kindergarten zur Praxis, sowie andere Behandlungszeiten als Männer, um ihre sozialen Aufgaben auch wahrnehmen zu können. Das permanent schlechte Gewissen, man wäre als Mutter nicht so präsent wie die Hausfrau von gegenüber, und auch in der Praxis nicht so viel verfügbar wie der Kollege von nebenan, sollte man sich schlicht abschminken und durch ein überlegtes, hochindividuelles Praxiskonzept abpuffern. Die Kinderbetreuung sollte doppelt gesichert sein, d.h. wenn die Kinderfrau krank ist, greift der Plan B mit Schwiegermutter, Freundin oder einer anderen Lösung, die nicht aus dem Stand entwickelt werden muss.

Auch Kolleginnen, die keine Kinder haben oder möchten, sind meist familiär oder sozial stärker eingebunden als ihre Lebenspartner. Und was wir alle noch manchmal brauchen: Zeit und Luft, zum Sport, zum Friseur oder zur Kosmetikerin zu gehen, um zumindest manchmal völlig entspannt und mit Freude die gutaussehende, hinreißende Geliebte zu geben, statt nur die gestresste Ärztin, die kräftemäßig ihr Tagespensum gerade so schafft, um abends ohnmächtig auf die Couch zu sinken. In einem individuellen Praxiskonzept muss auch Zeit und Raum für sich persönlich enthalten sein, sonst ist die Gefahr eines Burnouts relativ hoch, am stärksten zwischen 38 und 45 Jahren.

FLEXIBLE, FRAUENSPEZIFISCHE ARBEITSKONZEPTE

Frauen sind, entgegen der landläufigen Meinung, gute Netzwerker und meist sehr teamfähig. Daher bietet es sich an, in Gemeinschaft mit ein oder mehreren Kollegen/innen Räume und technische Geräte gemeinsam und daher kostengünstig zu nutzen. Ob als Praxisgemeinschaft, Gemeinschaftspraxis, GmbH oder als Labor- und Gerätegemeinschaft hängt sehr stark von der individuellen Situation ab. Die Entscheidung für eine Rechtsform ist weitreichend, ich vergleiche es gerne mit einem Ehevertrag. Der beste Vertrag ist der Entwurf, der in der Schreibtischschublade verstaubt, weil er nicht gebraucht wird. In jedem Fall empfiehlt es sich, mögliche Eventualitäten im Vorfeld zu klären und vertraglich klar zu vereinbaren, solange man sich gut versteht, um für spätere Präzedenzfälle eine eindeutige Vorgehensweise zu erarbeiten. Man kann im Vorfeld nicht abschätzen, wie sich Praxispartner(innen) entwickeln, sowohl fachlich als auch persönlich – woraus später Differenzen entstehen können, die zur Praxisgründung gar nicht im Bereich der Möglichkeiten lagen.

Die großen Vorteile einer Arbeitsgemeinschaft, egal in welcher Form, eröffnen so tolle Möglichkeiten, dass es zumindest mehr als eine Überlegung wert sein sollte: Hier nur ein paar Punkte für z. B. zwei Kolleginnen:

  • Flexible Arbeitszeiten mit Früh- und Spätdienst von jeweils 5-6 Stunden, wobei man sich mittags für ein oder 2 Stunden zur Übergabe begegnet. Dabei sind wenigstens 2 freie Nachmittage möglich, die Mütter immer benötigen
  • Umfassender Patientenservice durch erweiterte Praxiszeiten, wenn z. B. eine Praxis von Montag früh bis Samstag Nachmittag geöffnet ist
  • Jede Kollegin arbeitet nur 25-30 Stunden pro Woche in der Behandlung am Patienten
  • Geräte, Praxisräume und Mitarbeiter werden optimal ausgelastet Vertretung für Urlaub, Krankheit und Fortbildung ist kein Thema – Patienten bleiben in der Praxis

DAS LIEBE GELD

Frauen haben oft auch ein unterschiedliches Investitionsverhalten als Männer und andere Vorstellungen von Lebensstil und finanzieller Sicherheit. Ich habe schon eine Menge Frauenpraxen gecoacht und oft sind sie, auch finanziell, nach ein paar Jahren deutlich erfolgreicher als ihre Männer. Doch der Anfang läuft oft sehr unterschiedlich ab. Frauen investieren vorsichtiger, überlegter, aber dafür regelmäßig. Auch so lange das Thema der Familienplanung noch nicht zu Ende gedacht ist, empfiehlt sich ein durchdachtes Grundkonzept, das Stück für Stück erweitert werden kann. Das betrifft den Zeitrahmen in der Praxis, wie auch die Finanzen. Mit veränderten Lebensbedingungen - große Kinder, keine Kinder, mit Lebenspartnerschaft oder ohne - kann der Zeit- wie auch der Finanzplan nachjustiert werden. In der Regel ist das alle 5 Jahre der Fall. Bis dahin hat sich jeweils so viel geändert am persönlichen Umfeld und den Bedürfnissen, dass man die eigene Praxis gut nachentwickeln und der Jetzt-Situation anpassen kann.

Gönnen Sie sich professionelle Hilfe

Ob es um Ihren Haushalt, das Praxismanagement, die Kinderbetreuung oder einen Coach für Ihre Praxis geht, gönnen Sie sich die Unterstützung eines Profis! Oft ist ein Blick von außen hilfreich, wenn man im eigenen System den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht. Um ein ausbalanciertes, glückliches Leben zu führen, ist es nicht sinnvoll, sich von der Arbeit überrollen zu lassen, auch wenn Erfolg etwas wahrhaft Schönes ist. Lassen Sie sich nicht von einem permanent schlechten Gewissen Ihr reiches und erfülltes Leben nehmen. Legen Sie Ihre persönlichen Schwerpunkte so, dass Ihre Seele und Ihr Herz gleichermaßen zu ihrem Recht kommen wie der berufliche und finanzielle Erfolg. Damit bleiben Sie auch gesund und können sich noch viele Jahre in Ihrer Praxis verwirklichen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen den Erfolg auf all diesen Ebenen. Trauen Sie sich!

Autorin Dr. Martina Obermeyer
info@aufwind.org

Systemische Orale Medizin         2. Jahrgang 3/2013

envelopephonemap-markercrossmenu